Keine Seminarstühle. Keine Seminartische.
Kein Flipchart. Statt dessen Hocker,
Bänke und Tische aus Holzlatten. Handgefertigt.
Keine Übungen. Keine Rollenspiele.
Statt dessen reale Begegnungen im Alltag.
KulturTester. Dialoge mit Besitzern von
Fachgeschäften in Neukölln. Installationen
im Raum. Baniza den Nachbarn auf der
Straße und im Haus geben. Selbstgekochte Suppe.
Kaffee und Tee für die Teilnehmenden persönlich
serviert. Im Wedding.
Fünf TransformationsRäume im Versammlungsheim
eines Schrebergartenvereins.
Festgeschraubte Stühle. Dialoge in Hausschuhen.
Dialog mit sich selbst und den anderen
in einem Spiegel.

Workshops interkulturelle Kompetenz
für Ehrenamtliche Schlüsselpersonen

Ein Projekt der Bürgerstiftung Neukölln

Konzipiert und realisiert von:
Doris Wietfeldt, Idil Efe und Johannes Tolk

Eigentlich ist das doch ganz einfach. Mit Menschen im interkulturellen Kontext zu sprechen. Mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sich zu engagieren. Es ist interessant, abwechslungsreich und wir lernen Neues. Allerdings kann es auch herausfordernd sein oder sogar schwierig werden. In jedem Fall sind interkulturelle Kompetenzen hilfreich.

Von September bis Dezember 2015 haben wir für 120 ehrenamtliche Schlüsselpersonen Trainings in interkultureller Kompetenz angeboten. Im Auftrag des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Trainings haben Freitag nachmittags und am Samstag stattgefunden. Und es gab eine gemeinsame Veranstaltung mit allen Gruppen am 4. Dezember.

Teilgenommen haben Aktive aus Kulturvereinen, Quartiersbeiräten, Mediationsverbänden, Theaterprojekten, Schrebergärten, Organisationen für Geflüchtete, Sportvereinen, Mentorenprojekten, Kirchenkreisen, Mehrgenerationenhäusern, Moscheevereinen, Interkulturellen Gärten und vielen weiteren Organisationen.

Die Teilnehmenden erhielten vor Beginn der Trainings den KulturTester. Sie konnten darin mit kreativen Mitteln interkulturelle Erfahrungen aus ihrem Alltag aufzeichnen und es galt, kleine Aufgaben zu bewältigen. Hierdurch konnten wir vor Schulungsbeginn bereits eine erste Sensibilisierung für die Thematik erzeugen.

In der Designforschung nennt man die auf diese Weise gesammelten Informationen Cultural Probes. Es handelt sich dabei um eine Methode, mit der man sich sowohl den Erfahrungen und Emotionen der Teilnehmenden annähert wie auch der Organisationskultur, in der sie tätig sind.

Was ist Kultur? Und was ist Interkulturelle Kompetenz? Der Input zur Einführung am Freitag Nachmittag vermittelte zum einen Wissen über diese Themen. Es war aber auch ein Verorten, wo wir selbst in unserem Denken über Kultur stehen. Was passiert, wenn wir uns in unseren Unterschieden begegnen? Es war ein Öffnen sowohl für die kognitive wie auch für die emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema. Kultur ist der Kontext, in dem wir uns täglich bewegen, der uns so vertraut ist, dass wir nicht (mehr) wahrnehmen, dass es ein Kontext von vielen möglichen ist.

Wir nehmen hierdurch die Welt und die Begegnungen mit anderen Menschen auf eine bestimmte Weise wahr. Es sind unsere Muster der Wahrnehmung. Selbstverständliches zu erkennen, bedeutet Distanz zum Vertrauten aufzubauen. Dafür jedoch brauchen wir einen Anlass, eine innere Motivation, ohne die kein interkulturelles Lernen stattfindet. Interkulturelle Kompetenz bedeutet auch zu erkennen, welche Verhaltensweisen wir nicht mögen oder sogar ablehnen. Und was es in diesen Momenten braucht, trotzdem handlungsfähig zu bleiben.

Die Teilnehmenden gingen an für sie fremde Orte und diskutierten mit den Inhabern und Mitarbeitenden über Fragen zur interkulturellen Kompetenz. Die Erfahrungen aus diesen Begegnungen wurden in der Seminargruppe ausgewertet.

Wissen über interkulturelle Prozesse und Modelle wurde anhand der Erfahrungen situationsbezogen vermittelt. Für die Teilnehmenden waren auch die emotionalen Resonanzen von Bedeutung. Manche schilderten, dass sie mit Freude oder Neugier reagierten, anderen war etwas unwohl oder es gab etwas Angst vor dieser unerwarteten Interaktion. Wenn die Herausforderungen in den Aufgaben groß waren, haben wir kleine Gruppen gebildet. Die Vertrautheit schafft einen Rahmen, in dem Fehler und Experimentieren erlaubt sind. Diese Momente haben wir nicht mit der Kamera begleitet. Fotoaufnahmen hätten die Art der
Begegnungen verändert. Am Ende des Abends gab es die Möglichkeit, sich bei einer Pizza im Bistro in der Nähe des Veranstaltungsortes persönlich kennenzulernen.

Am Samstag starteten wir mit einer Installation. Unter den Tischen waren Soundwürfel befestigt: Es waren zwei Geschichten aufgesprochen. Die erste erzählte vom nachbarschaftlichen Geben und Nehmen in Berlin, die zweite vom Honigsuchervogel in Tansania.

Er führt Menschen zu Honignestern. Lassen sie keinen Honig für ihn zurück, führt er sie beim nächsten Mal wieder an einen Ort. An einen Ort, an dem sich ein Löwe befindet. Beide Geschichten erzählten reale Situationen aus dem Alltag.

Die Teilnehmenden hatten eine halbe Stunde Zeit in diesem Raum, die sie frei gestalten konnten. Es wurden neue Installationen gebaut, Gesprächsrunden auf dem Teppich geführt und vieles mehr. Währenddessen hatten wir Baniza, bulgarischen Blätterteig, oder Kuchen oder Maronen vorbereitet. Die Teilnehmenden legten sie auf die Teller und verteilten sie in Zweierteams an Nachbarn im Haus oder auf der Straße.

Sie kamen an den Seminarort zurück. Wir bewirteten sie mit Getränken. Gemeinsam nahmen wir auf den Bänken Platz und werteten den Vormittag aus. Es waren viele neue Fragen und auch Irritationen entstanden. Die eigenen Reaktionen auf das Erlebte standen im Vordergrund. Die Installation zu Beginn hatte einen Rahmen geschaffen, in dem die Teilnehmenden ihre eigenen spezifischen Lernerfahrungen machen konnten. Sie stellte jede und jeden einzelnen vor ganz unterschiedliche Herausforderungen. Manche mochten die Ästhetik des Raumes, andere fühlten sich unwohl, wieder andere suchten die Nähe in einem Gesprächskreis und stellten eine vertraute Seminaratmosphäre her. Und waren dann enttäuscht, dass das Besondere im Raum plötzlich verschwunden war. Die Teilnehmenden hörten die sehr unterschiedlichen Reaktionen auf diesen Raum. Es wurde spürbar, dass das eigene Erleben wesentlich mit den eigenen Vorerfahrungen und der eigenen Lebenssituation zu tun hat. In der Erfahrung des Gebens direkt im Anschluss entstanden unter anderem die Fragen: Wie geben wir? Wie nehmen wir? Warum hat dieselbe Person auf der Straße von mir genommen, aber nicht von einer anderen Person aus unserer Gruppe? Die Wechselwirkungen zwischen dem, was wir selbst in eine Interaktion einbringen und dem, was unser
Gegenüber einbringt, wurde erneut spürbar. Der Input über Modelle, Handlungsmöglichkeiten und Denkmuster fand entlang des Erlebten statt.
Das Mittagessen hatten wir für die Teilnehmenden selbst gekocht. Es war unsere Art des Gebens für Menschen, die selbst viel geben.

Nach dem Mittagessen wurde das Gemischte Doppel eingeleitet. Die Teilnehmenden kamen zunächst zu zweit zusammen. Sie wählten eine Begegnung aus, die sie im KulturTester bereits aufgenommen hatten. Oder sie wählten eine andere, für sie bedeutsame Interaktion
aus. Sie schilderten sich ihre Erfahrungen.

Sie hatten die Aufgabe, drei Annahmen zu formulieren, warum sich die Situation auf diese Weise entwickelt hatte und was ihr eigenes Handeln und das ihres Gegenübers geleitet hatte.

Die Zweierteams kamen in Viererteams zusammen. Nun war die Aufgabe, drei Annahmen zu bilden, warum das Zweierteam die von ihnen formulierten Annahmen gewählt hatte. Dieser Lernschritt wurde in der Gesamtgruppe reflektiert und ausgewertet. Die eigenen Grundannahmen wurden sichtbar. Und dass es hilfreich sein kann, das Verstehen und Deuten einer Situation nicht festzulegen, ohne mit dem Gegenüber in einen Dialog hierüber zu treten. In jeder Gruppe sammelten wir am Ende Fragen und Anliegen für die TransformationsRäume. Es waren Themen, die in der Arbeit immer wieder auftauchten und für die es gegenwärtig noch keine Lösungen gab.

Die gemeinsame Veranstaltung mit allen Gruppen fand an einem Freitag Nachmittag im Versammlungshaus eines Schrebergartenvereins statt. Wir haben diesen Ort ausgesucht, weil die Schrebergartenkultur als typisch deutsch wahrgenommen wird. Gleichzeitig sollte es ein Ort sein, den viele selbst noch nicht betreten haben. Für diesen Ort haben wir fünf TransformationsRäume entwickelt.

Es wurden fünf Gruppen per Zufallsprinzip gebildet. Jede Gruppe durchwanderte zwei unterschiedliche Räume. Sie arbeiteten in beiden Räumen zum selben Thema. Die Dialoge veränderten sich, je nachdem, in welchem Setting sie sich befanden.

Es wurde deutlich: Der Kontext einer Begegnung hat ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf die Inhalte und die Art der Interaktion.

Der Honig

Ein Zelt aus einem weichen rotem Stoff, zusammensein im engen Kreis. In der Mitte ein Tisch mit Honig für alle.

»Euer Workshop plus Auswertungssitzung war großartig: anregend und berührend! Eben nicht nur Wissen vermittelt – wie das sonst geschieht -, sondern Ihr habt Erfahrungen initiiert, Emotionen provoziert und verunsichernde Situationen der Begegnung geschaffen, die dazu geführt haben, die eigenen Denk- und Vorurteilsstrukturen wahrnehmen zu können. Einstellungsänderungen lassen sich eben nur über Begegnungen mit andersartigen, mit verschieden-seienden Menschen und ungeregelten Kontexten finden. Das hat mir sehr bei Eurem Konzept gefallen!!! Und Euer Seminarleiterverhalten war dabei für mich sehr wohltuend: klar, offen, die Mitbeteiligung sehr fördernd – und lebensfroh.«

Wolfgang Wendlandt, Playback-Projekt Theater mit Flüchtlingen

Die Hütte

Im Raum, der aus einer leichten, mit einer Plastikfolie überzogenen Holzkonstruktion bestand, entstanden die politischen Diskussionen. Der Raum war kahl und eng und mit einfachen Stühlen versehen.

»Im weißen Raum mit den transparenten Wänden befand man sich im Gegenüber mit dem Anderen. In dieser klaren Sicht(weise) wurden, über die Gegenwart hinaus, Pläne der Zukunft sichtbar.«

Dana Weyrauch

 

Der Spiegel

In diesem Raum waren zwei Seiten mit Sitzbänken versehen und die anderen beiden Seiten mit großen Spiegeln. Es gab nur wenig Licht. Die Spiegelungen verdoppelten die Wahrnehmungsebenen, gleichzeitig baute sich in diesem Raum eine große Nähe auf.

»Der Spiegelraum hat mich angeregt, meine Perspektive zu wechseln, und auch die Teilnehmerinnen in der Gruppe aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Das hat neue Gedanken in mir angeregt und Überraschendes zu Tage gebracht. Die Räume hatten immer einen gestalteten Rahmen, der mich dazu brachte, das Gewohnte zu verlassen und konzentriert an einem Thema zu arbeiten. Die Methodik insgesamt hat Lernen auf einer tieferen Ebene ermöglicht, ohne dabei Fakten zu sammeln. Etwas ungewohnt für uns kritische, ergebnisorientierte Deutsche 😉 Doch am Ende bereichernd und mit nachhaltiger Wirkung!«

Tania Wehrs, Verein zur Förderung des Martin-Luther-Viertels e.V.

Der Schuh

Es gab den Raum mit zwei langen Sitzbänken mit bunten Sitzpolstern. In kleinen weißen Taschen lagen Hausschuhe für die Teilnehmenden bereit. Es gab den Spannungsbogen aus Nähe und der gleichzeitigen Unbegrenztheit im großen Raum.

»Wenn ich mein sicheres Schuhwerk ablegen und gegen ein paar fremdartige Hausschuhe einwechseln muss, verliere ich ein wenig an Stand und Sicherheit. (Sehr geschickt ausgedacht!) Die Köpfe der Gegenüber waren auch reichlich nah. Der persönliche Raum ist schon vom Gegenüber belegt – ein wenig. (Auch sehr geschickt arangiert!) ›Mauern oder Öffnen‹ – das ist jetzt die Frage.«

Wolfgang Wendlandt, Playback-Projekt Theater mit Flüchtlingen

Der Kreis

Hocker standen in einem Kreis. Scheinbar. Denn zwei Hocker waren am Boden fixiert. Es entstand der Eindruck, die beiden Teilnehmenden auf diesen Hockern wollten nicht an der Diskussion teilnehmen. Bis klar wurde, dass sie ihre Sitzmöglichkeit nicht bewegen konnten. Nun lag es an der Gruppe, sie zu integrieren.

»Dass wir überhaupt zwischen zwei verschiedenen “Transformationsräumen” wechseln konnten, fand ich genial! Und natürlich haben die Räume etwas mit uns gemacht und sich auf die Gespräche ausgewirkt. Unsere Gruppe war zuerst im verspiegelten, abgedunkelten Raum und danach im luftigen, hellen. Spannend war, dass je nach Persönlichkeit in den verschiedenen Räumen teilweise Verschiedene das Wort ergriffen haben bzw. in einem Raum mehr, im anderen weniger gesagt haben. Damit ergab sich eine jeweils verschiedene Dynamik in der Gruppe und eine andere Perspektive aufs Thema. Im kleinen Raum ging es eher um ein Abtasten nach persönlichen Erfahrungen, im lichten Raum wurden wir meinem Eindruck nach politischer und formulierten eher Visionen. Ein schöner Gruppenprozess in kurzer Zeit!«

Renate Merkel, Senior Partner in School e.V.

»Ich habe oft das Gefühl, zu wenig in die Praxis zu gehen, zu wenig Menschen zu erreichen. Was ihr gemacht habt, hat mir das Gegenteil gezeigt. Es war wunderbar, so viele neugierige Menschen kennenzulernen, die bereit sind, dafür Zeit aufzuwenden. Vielen Dank!«

»Vielen Dank für die erweiterte Sichtweise und die unkonventionellen Ansätze. Alles Gute!«
Sarah

»Die Idee von Annahmen, die hilft und begleitet mich seit dem Seminar. Und das Wissen, dass zu einer gelungenen Gruppensituation immer was zu essen gehört, das war wirklich gelungen! Vielen Dank!!«
Sophie

»Hannah und ich denken noch sooo oft an das Gemischte Doppel! Wir haben selten einen Workshop erlebt, bei dem wir wirklich was gelernt haben! Dadurch, dass ihr so gut auf die individuellen Bedürfnisse der Gruppe geachtet habt, konnte sich die Gruppe auch individuell entfalten und jeder konnte individuell lernen… viele neue Erfahrungen – viele neue Ideen – viel neue Motivation – viele tolle Menschen«
Luise und Hannah

»Tolle Erfahrung: Vielen Dank. Es war für mich nicht immer leicht, jeden zu verstehen oder seine Meinung zu tolerieren. Aber ihr als Teamleiter wart immer gut zu verstehen und man hat vor allem eure Meinung schätzen gelernt.«
Leonie